Grenzen der Digitalisierung

Künstliche Intelligenz und die Arbeit der Zukunft: Der Raum war mit rund 45 Teilnehmer/innen gut gefüllt, als der Publizist und Theaterregisseur Fabian Scheidler seine Thesen zu KI präsentierte. Er plädiert für eine Entmythologisierung und dafür, den nicht unerheblichen ökologischen Schaden zu berücksichtigen, den KI produziere.

Die Diskussion am 7.12.23 im Kiezladen „Zusammenhalt“ im Prenzlauer Berg sollte es ermöglichen, gewerkschaftliche Perspektiven auf Gute Arbeit in Zeiten der Digitalisierung mit Überlegungen zum krisenhaften Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft zusammen zu denken, unter dessen Bedingungen Technik zum Einsatz kommt. Frau Dr. Nadine Müller, Bereichleiterin Innovation und IT der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, musste ihre Teilnahme krankheitsbedingt leider kurzfristig absagen. Fabian Scheidler, Autor und Theaterregisseur, und das Publikum machten diese Lücke mit gehaltvollen Beiträgen wett.

Zu Beginn stellte die Moderatorin, Sophia Bickhardt von weltgewandt e.V., die Tätigkeit des Instituts und insbesondere das Projekt „Resiliente Arbeit“ vor, in dessen Rahmen die Veranstaltung stattfand. Sie verwies auf die Lernplattform, die zu diesem Themenbereich entsteht und lud dazu ein, die kostenlosen Kurse der Lernplattform des Vorgängerprojekts „Frischer Wind für die Ökonomie“ zu studieren.

Sodann umriss sie den Fragehorizont des Abends und ging auf den Begriff Künstliche Intelligenz ein. KI erscheine momentan geradezu als Zauberwort – auch wenn sie seit längerem zum Einsatz käme. So z.B. bei der Gesichtserkennung auf Bahnhöfen, als Übersetzungsalgorithmus wie deepl.com, bei der Essenslieferung per Drohnen oder Fahrten mit dem autonomen Taxi. Seit einem Jahr fände ChatGPT von Open AI Verbreitung, und wer es mag, sogar im Girlfriend-Mode, der „endlose Gespräche“ mit einer virtuellen Freundin möglich mache. KI käme in der Medizin zur Anwendung – Stichwort sei hier „Digital Health“ –, bei Spekulationen auf den Finanzmärkten, bei Drohnen-Einsätzen im Krieg, im Journalismus und damit auch der gesellschaftlichen Verständigung auf das, was als Wahrheit gilt. Eine der Verheißungen von KI sei deren Einsatz im Büroalltag, wenn z.B. Berichte und Protokolle mit deren verfasst würden oder Studierende damit ihre Hausarbeiten schrieben. KI stünde für neue (technische) Möglichkeiten – und für neue Märkte.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Laut Wirtschaftsförderung Bremen könne KI definiert werden als

„… der Versuch, menschliches Lernen und Denken auf den Computer zu übertragen und ihm damit Intelligenz zu verleihen. Statt für jeden Zweck programmiert zu werden, kann eine KI eigenständig Antworten finden und selbstständig Probleme lösen. […] Ziel der KI-Forschung ist es seit jeher, die Funktion unseres Gehirns und unseres Geists einerseits zu verstehen und andererseits künstlich nachbauen zu können.“ (1)

Mit KI würden im Unterschied zu früheren Phasen von technischem Wandel und Industrialisierung nun auch kognitive Tätigkeiten „maschinisiert“ werden. Man müsse sich dennoch vor Augen halten, dass das eine Maschine ist und bleibt, auch wenn sie einem menschlich oder intelligent vorkommt.“

Voraussetzung für die Schaffung von KI sei die massenhafte Verfügbarkeit von Daten, die in hoher Geschwindigkeit ausgewertet würden. Eine KI lerne eigenständig aus diesen Daten. Programmiert würde sie allerdings von Menschen.

Die Moderatorin wies außerdem auf ein Problem hin. So wie der Begriff der Intelligenz nicht eindeutig definiert sei, so könne es demzufolge auch die Wortschöpfung „Künstliche Intelligenz“ kaum sein. Daher bevorzugten einige den Begriff „maschinelles Lernen“. Gleichwohl würde in sogenannte starke und schwache KI unterschieden. Eine starke KI könne Probleme genereller Art lösen – es gibt sie (noch) nicht. Eine schwache KI seien Algorithmen, die spezielle Aufgaben bearbeiten können, „deren Lösungswege sie vorher selbstständig erlernt haben“.

Das heißt, wenn von KI die Rede sei, dann meine dies in der Regel schwache KI. Man müsse sich auch vergegenwärtigen, dass KI kein eigenes Bewusstsein hätte, nicht selbstständig verstehen könne und nicht kreativ sei. Das alles seien Eigenschaften von Menschen.

Dimensionen der Diskussion von KI

Wolle man systematisch berücksichtigen, dass KI von Menschen gemacht sei, stelle sich auch die Frage nach den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen KI entstehe und für die sie hergestellt würde. Daher reiche es nicht, so die Moderatorin, KI allein mit Bezug auf technischen Wandel zu erörtern, wie dies oft der Fall sei. Sie schlug vor, diesen eingebettet in Produktionsweisen und gesellschaftliche Situationen zu diskutieren. Sie nannte dafür die

soziotechnische Dimension, den Zusammenhang von Technikentwicklung und Wirtschaftswachstum. Daran anknüpfend sei zu fragen, wie sich Arbeit durch KI verändern werde. Was für Arbeit werde es in Zukunft (noch) geben? Unter welchen Bedingungen sei „Gute Arbeit“ möglich? Und wie könnten Wachstum und Nachhaltigkeit mit KI in Einklang gebracht werden?

gesamtwirtschaftliche und -gesellschaftliche Dimension, also die vielfältigen Krisen zum Beispiel mit Blick auf die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, die Naturzerstörung, das Unvermögen, Konflikte friedlich zu lösen, die fragiler werdenden Demokratien u.a., in deren Kontext KI entwickelt und eingesetzt werde,

wirtschaftspolitische Dimension, das heißt die derzeitige Gestaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems nach wirtschaftsliberalen Auffassungen von Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung und damit der verstärkten Ausrichtung von Arbeit und Leben an Prinzipien von (monetärem) Gewinn bzw. Nutzen. Welche KI wird unter diesen Bedingungen geschaffen – und welche nicht?

philosophische und sozialpsychologische Dimension: Welche Macht geben Menschen der Technik? Ab wann erkennen sie z.B. in einem humanoiden Roboter eine „Wesenheit“, von der sie sich – unbewusst – steuern lassen? Oder betrachten sie Technik als Instrument, als ein Hilfsmittel? Haben ChatGPT, Alexa, Siri, LamBDA etc. ein Bewusstsein? Können sie als Subjekt angesehen werden? Schließlich: Treten wir in ein „posthumanes Zeitalter“ (André Gorz) ein, in dem das menschliche Gehirn durch „effizientere“ und „schlauere“ künstliche Intelligenz ersetzt werden wird?

Demokratie-Dimension: Welches „Upgrade“ von Demokratie ist erforderlich, damit der rasante technologische und gesellschaftliche Wandel demokratisch gestaltet wird? Müssen dabei auch Konsequenzen für veränderte Kräftekonstellationen durch das Entstehen von Großkonzernen wie Google, Amazon und anderen in den letzten 20 Jahren berücksichtigt werden, deren Macht nicht mehr nur ökonomischer Art ist. Und wie können die Daten der Bürgerinnen und Bürger wirksam geschützt werden?

Utopie oder Dystopie?

Die Moderatorin setzte dann einen Kontrast: Könne der Einsatz Künstlicher Intelligenz dazu beitragen, der Utopie einer sozial gerechten und ökologischen Wirtschafts- und Lebensweise näher zu kommen? Oder zeichne sich eher das Horrorszenario eines Überwachungskapitalismus (Shoshanna Zuboff) ab, durch den diese Krisen wahrscheinlich eher verstärkt werden, die Orientierung aber darauf liege, alles unter Kontrolle zu bekommen? Gleichsam als technische Lösung für gesellschaftliche Probleme und als Orientierung auf das Schaffen neuer Märkte ?

Und weil selten ein „Entweder-oder“ zu beobachten ist, so sei zu fragen, inwiefern Elemente von beidem gegeben seien. Dass KI eingesetzt würde, um z.B. die Arbeit im Bereich der Pflege deutlich zu erleichtern, aber auch um Arbeiter/innen durch minutiöse Überwachung dauerhaft unter Druck zu setzen, wie dies z.B. bei Amazon der Fall sei. Das Nachdenken über diese Entwicklungen münde in die Frage: Welche gesellschaftlichen Verhältnisse wollen wir, wollen die Bürgerinnen und Bürger – mit und ohne KI?

KI entzaubern, Konzerne domestizieren

Fabian Scheidler sprach sich dafür aus, KI zu entmystifizieren. Es sei weniger die Frage, ob Technik beeindruckend gut sei und sich der Mensch nur anzupassen habe. Vielmehr müsse man sich vergegenwärtigen, dass sie menschengemacht sei. Daher stelle sich die Frage, wem und wozu sie diene. Er betonte den großen ökologischen Fußabdruck von KI – hoher Energieverbrauch, Rohstoffe wie Seltene Erden, die benötigt würden – und brachte diese Kehrseite der Digitalisierung insgesamt mit dem Problem des Wachstums kapitalistischer Ökonomien in Verbindung. Dabei solle man die Eigentumsfrage berücksichtigen. Dazu gehöre auch, „Konzerne zu zerschlagen“.

Dieser Gedanke wurde vom Publikum mehrfach aufgenommen. Ein Teilnehmer wandte kritisch ein, dass dies nur eine „Scheinradikalität“ und selbst ein neoliberales Argument sei. Denn auch bei einem Aufteilen der Konzerne in kleinere Einheiten bliebe alles komplett marktgesteuert. Er meinte außerdem, dass eine Verstaatlichung nicht automatisch die bessere Wahl sei und führte als Beispiel dafür die Landesbanken einiger Bundesländer an, die in der Finanzkrise ab 2007/2008 in große Probleme gerieten, weil sie sich „verzockt“ hätten. Er sprach sich statt dessen für eine bessere Regulierung der Konzerne und für deutlich mehr Mitbestimmung der Beschäftigten aus. Sie sollten mit entscheiden können, welche KI genutzt werde und welche nicht.

Zivilisationskrise

Ein anderer Teilnehmer wies auf einen Aspekt hin, der in Debatten um Digitalisierung fast keine Erwähnung findet: „Wenn die Mehrwertmasse global anfängt zu schrumpfen aufgrund neuer Technologien, dann bricht das Reproduktionssystem des Kapitalismus in sich zusammen.“ Er sieht diesen Prozess für die USA und Europa gegeben, aber inzwischen auch in China: „Wir sind schon längst in China in das Abschmelzen der Wertmasse eingetreten. […] Wenn dieser Prozess weitergeht, bricht ein Gesamtgefüge der Reproduktion zusammen und es entsteht vielleicht etwas Neues – unter dem Versuch der Beibehaltung der alten Eigentumstitel. Und das ist das, was die Situation zur Explosion bringt.“ Fabian Scheidler konstatierte im Verlauf des Gesprächs: „Wir sind in einer Zivilisationskrise.“

Weitere Gedanken von F. Scheidler und den Beitragenden aus dem Publikum hält der Mitschnitt des „Talk ohne Show“ für Sie / dich bereit.

Die Reaktionen auf die Diskussion waren positiv. Ein Teilnehmer meinte: „Für mich war das eine echte Erholung. Endlich mal wieder gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge diskutiert.“ Eine Besucherin zeigte sich beeindruckt, dass es gelang, die größere Zahl der Teilnehmer tatsächlich ins Gespräch zu bringen. Mehrere fragten, wann die nächsten Veranstaltungen stattfänden…

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1 Jan Raveling, Was ist Künstliche Intelligenz? 11.04.2023, https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/digitalisierung-industrie40/was-ist-kuenstliche-intelligenz-definition-ki

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Der Abend wurde im Rahmen des Projekts „Time to Fresh Up. Cultivating Economic Literacy for Resilient Work in Europe“ ausgerichtet, das vom Programm Erasmus+ der Europäischen Union gefördert wird.

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