Das Wort „Nation“ wird in den letzten Jahren wieder vermehrt bemüht. Was einfach scheint, hat viele Facetten. Was meint „Nation“? Was sind die sozialen, politischen und kulturellen Dimensionen des Begriffs – in Geschichte und Gegenwart? Und was ist der Unterschied zum Nationalismus?
Die Projektleiterin von weltgewandt e.V. realisierte von 2008-2010 für Arbeit und Leben Berlin e.V. das Projekt „Pluralität und Nation. Visionen von Gesellschaft“ mit Kolleg/innen von Partnerorganisationen in Finnland und in Belgien. Im Ergebnis entstand der Text „Woodrow Wilson versus Lenin. Überlegungen zu Pluralität und Nation„. Die Lernpartnerschaft wurde von der Nationalen Agentur Bildung für Europa der Europäischen Kommission als „Best Practice“-Beispiel ausgezeichnet (S. 64 des Jahresberichts).
Ausgangspunkt der Zusammenarbeit waren die folgenden Beobachtungen und Fragen:
Die allgemein anerkannte Idee der Nation als einem „großen Ganzen“ trifft nicht mehr bunte Wirklichkeit. Vielerorts begegnet man Menschen verschiedener Sprachen und (Lebens-)Welten, die manches verbindet und einiges trennt. Deutsche Köche, türkische Unternehmerinnen und polnische Galeristen teilen sich die Verkehrswege, Kinos, Krankenhäuser und Friseure einer Stadt. Aber sie bewegen sich in ihrer Sprache und bevorzugen „ihre“ Klubs und Kneipen. „Aber“? Auch! Die meisten Dazugekommenen „switchen“ tagaus, tagein zwischen den Kulturen und Sprachen. Viele fühlen sich irgendwie „zweiheimisch“.
Das Bild von der homogenen, einheitlichen Nation ist aber nicht nur mit Blick auf die Gesellschaften selbst überkommen. Es relativiert sich auch „nach außen“ hin in der inter-nationalen Verflechtung einer durch Internet, Billigflüge und globale Produktionsketten zusammenrückenden Welt. Nation ist nicht mehr der alleinige Bezugsrahmen, transnationaler Austausch wird immer selbstverständlicher – in der Ferne wie auch vor Ort.
Was aber hält „transnationale Nationen“, was hält Gesellschaften zusammen? Was trennt Menschen – der Unterschied im Grad der Bildung, die Höhe des Einkommens, die politische Meinung, verschiedene Wertvorstellungen und Diskussionskulturen? Was ermöglicht kulturelle, was ermöglicht soziale Integration? Und wie kann man beides miteinander verbinden? Welches Verständnis von Gesellschaft gilt es zu entwickeln?
Fragen, die in Anbetracht zahlreicher Krisen heute wieder aktuell sind …