Job Shadowing bei einer Sprachschule in Rom / Italien – die weit mehr ist als das. Alisa J. von weltgewandt bildete sich für vier Wochen in Methoden des Sprachlernens bei der Associazione di promozione sociale Asinitas Aps („Verein für soziale Förderung Asinitas“) weiter. Ihre Eindrücke.
Die Arbeit der 2005 gegründeten gemeinnützigen Organisation richtet sich vorrangig an Migranten, Geflüchtete und Asylsuchende, welche die italienische Sprache erlernen möchten. Jedes Jahr werden etwa 150 Männer und Frauen im Alter zwischen 16 und 60 Jahren aufgenommen, die vor allem aus West- und Ostafrika, Nordafrika, Afghanistan, Türkisch-Kurdistan, Bangladesch und Südamerika stammen. Es ist jedoch viel mehr als eine bloße Sprachschule, denn das Ziel von Asinitas ist, Bildung und Sozialarbeit zu verbinden und so Aktivitäten im Bereich der sozialen Betreuung und Ausbildung zu fördern. Letztendlich sollen somit Eingliederungsprozesse für Personen angestoßen und intensiviert werden, die von der italienischen Mehrheitsgesellschaft oft als nicht gleichwertig wahrgenommen werden. Das Team von Asinitas bemüht sich, die soziale Präsenz der Menschen in dem für sie neuen Land zu stärken, indem mit der neuen Sprache auch der Ausdruckswille der Lernenden angespornt wird. Dabei steht die Begegnung mit dem Individuum und seiner Geschichte stets im Vordergrund.
Bei Asinitas werden nicht nur Sprachkurse angeboten, sondern auch Theaterworkshops, Handarbeitskurse, sozialmedizinische und rechtliche Beratung sowie Ausbildungs- und Berufsberatung. Ebenso werden Fortbildungskurse für Lehrer, Erzieher und Mediatoren veranstaltet, die sich mit diesen besonders vulnerablen Migrantengruppen beschäftigen. Da die Organisation aus der Überzeugung entstand, dass es in den Städten heutzutage ein großes Bedürfnis danach gibt, gemeinsame Begegnungskontexte mit Menschen aus anderen Ländern zu schaffen, wird die Schule als ein Territorium angesehen, das es zu teilen gilt. Und so ist die personenzentrierte Betreuung der Lernenden ein wichtiger Kernpunkt der Arbeit von Asinitas, um auch Menschen zu erreichen, denen bislang meist keine oder kaum Bildung im klassischen Sinne zuteil geworden ist.
In meiner Zeit bei Asinitas konnte ich viele der Aktivitäten näher kennenlernen und nicht nur die Herangehensweise beobachten, sondern auch assistieren und das neu Gelernte selbst anwenden. Die Sprachkurse starten täglich morgens um 09:30 Uhr und gehen bis 12:30 Uhr. Es gibt verschiedene Gruppen, die je nach Sprachniveau und Zusammensetzung getrennt sind. So sind die meisten Teilnehmer in den A1 Level Kursen zu finden und jeweils eine Handvoll Lernender bei A2 und B1 Kursen. Dabei findet immer montags, mittwochs und freitags der gemischte A1 Kurs statt und dienstags und donnerstags der A1 Kurs ausschließlich für Frauen.
Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Ankommen und einem Frühstückstisch, der vor den eigentlichen Klassenräumen auf die Teilnehmer wartet. Bei Tee, Keksen und Obst haben alle die Möglichkeit, sich ein wenig zu unterhalten, wobei sich auch das jeweilige Lehrerteam, bestehend aus fest angestellten Lehrkräften und jungen Volontären, die dort ihr Soziales Jahr absolvieren, dazu gesellt. Die Atmosphäre ist freundschaftlich und die Lehrer begegnen ihren Schülern auf Augenhöhe. Da der Besuch der Sprachkurse auf freiwilliger Basis stattfindet, gibt es keine Möglichkeit, die Teilnahme am Unterricht zu erzwingen,1 vielmehr versuchen die Teammitglieder stets durch Aufmunterung und Lob und eben auch durch intensiven persönlichen Kontakt, die Lernenden an die Schule zu binden. Das funktioniert meistens auch ganz gut, auch wenn es üblicherweise einige Ausnahmen gibt, um die man sich aber dennoch bemüht.
Man merkt schnell, dass die Schule sich auch an die Lernenden anpasst, so beispielsweise zu Ramadan. Die erste Woche meines Aufenthaltes dort fiel in die letzte Ramadanwoche und so haben alle Sprachkurse mit einer erheblichen Verspätung angefangen, da die Lernenden in ihrer Mehrzahl bedingt durch den Schlafmangel aufgrund des Gebets in der Morgendämmerung zu spät eintrafen. So fiel auch das gemeinsame Frühstück eher kurz aus und nur diejenigen beteiligten sich daran, die nicht das rituelle Fasten eingehalten haben. Was jedoch sofort auffällig war, ist die höfliche Zurückhaltung bei dem Verzehr von Speisen und Getränken seitens aller anderen Lernenden sowie der Lehrkräfte. Und auch im Unterricht wurden Themen dazu weitgehend vermieden.
Diese Fürsorglichkeit zieht sich quer durch alle Bereiche bei Asinitas. Auch wenn die Lernenden sehr unterschiedlich sind und jeder eine andere Lebensgeschichte hinter sich hat, so wird allen derselbe Raum zugestanden, um sich zu entfalten. Während im gemischten A1 Kurs sowie im Frauenkurs alle bei Null mit der italienischen Sprache anfangen, gibt es auch solche, die auch in ihrer Muttersprache gar nicht oder kaum des Lesens und Schreibens mächtig sind. Auf sie wird besondere Rücksicht genommen und oft arbeitet eine Lehrkraft oder ein Freiwilliger eins zu eins mit diesem Teilnehmer. Auch sind die jeweiligen Kurse in Untergruppen aufgeteilt, die sich nach dem Leistungsniveau der Lernenden richten. Das bedeutet, dass diejenigen, die schneller lernen bei einigen Gruppenaufgaben unter sich sind und diejenigen, die mehr Zeit für ihre Arbeit brauchen diese auch bekommen.
Dabei gibt es im Unterricht keine Lehrbücher, alles wird Woche für Woche speziell für den jeweiligen Kurs geplant, wobei die Lehrkräfte immer unmittelbar nach der Stunde ein Nachbereitungstreffen abhalten, bei dem alles genau besprochen wird: Also, was gut und was weniger gut gelaufen ist, sowie ob der Lernplan auf Kurs ist oder ob etwas verändert werden soll. Alle Teammitglieder können dabei ihre Meinung vertreten und manchmal wird auch länger diskutiert, bis die optimale weitere Vorgehensweise gefunden wird. Auch ich konnte mich während dieser Vor- und Nachbereitung der Lehrstunden aktiv einbringen, sei es mit meinen Beobachtungen der Lernfortschritte bestimmter Schüler, Kritik an einzelnen gestellten Aufgaben oder mit Ideen für die nächsten Stunden. Es wurde stets mit Aufmerksamkeit verfolgt und konstruktiv darauf eingegangen. Gleichzeitig wurde mir auch gespiegelt, wie mein aktiver Part beim JobShadowing verläuft und wie ich noch besser vorgehen kann, um die Lernpraxis zu unterstützen.
Da der Unterricht bei Asinitas immer von einer lebendigen Sprache ausgeht, die etwas mit der Lebenswirklichkeit der Lernenden zu tun haben muss, stehen auch bei der Suche nach den zu vermittelnden Lerninhalten die Lebens- und Migrationserfahrungen die Teilnehmer im Fokus. So soll zudem der sozialen Isolation vorgebeugt oder zumindest etwas entgegengestellt werden, indem das Programm die persönlichen Wege jeden Einzelnen miteinbezieht, wobei die Gruppe schnell merkt, wie ähnlich ihre oft einsamen Migrationswege sind und so einander Halt gibt.
Auch wenn es äußerlich beispielsweise lediglich um das Erlernen der italienischen Possessivpronomen und ihrer richtigen Benutzung im Satz geht, so wird dies anhand von Kontexten geübt, welche für alle Teilnehmer sicherlich eine Brücke in ihr Heimatland schlägt, nämlich der eigenen Familienmitglieder. Bei dieser Unterrichtsstunde sollten die Schüler also zunächst ihren Familienstammbaum auf ein DIN A3 Blatt zeichnen, mit bunten Papierschnipseln erläutern und illustrieren. Danach begann die Arbeit in Zweiergruppen, wo die Teilnehmer sich jeweils gegenseitig auf Italienisch über ihre Familien erzählten und schließlich musste jeder in einem Stuhlkreis der gesamten Klasse über die Familie seines Gruppenpartners berichten.
Was also äußerlich eine reine Grammatikübung war, diente auch dem Gruppenzusammenhalt, dem Erinnern der eigenen Geschichten und dem Vokalisieren der eventuellen schmerzlichen Erfahrungen, wie vor allem der Tatsache, dass alle Lernenden große Teile ihrer Familie in ihren Heimatländern hatten und sie teils jahrelang nicht gesehen haben.
Das Tempo der Unterrichtsstunden ist ein langsames und ein schnelles zugleich. Eigentlich will man so Vieles in eine Unterrichtseinheit legen, um den Schülern möglichst viel mitzugeben, aber es passiert doch des Öfteren, dass die Geschichten der Menschen in diesem großen Lernexperiment das Arbeiten verlangsamen. So gestaltet also die Klasse den Unterricht stets mit und diese erfahrungsorientierte Arbeitsmethode bringt vor allem Achtsamkeit und gibt jedem, der sich äußern will, die Zeit und den Raum dazu – ungeachtet des Sprachniveaus und des unmittelbaren Bezugs zum Unterrichtsstoff.
Die Arbeitsweise bei Asinitas ist darauf aus, Bindungen zu schaffen unter den Schülern, aber auch mit den Lehrenden. Gleichzeitig wird jeder ermuntert, zu sprechen und sich auszudrücken, weil es genau das ist, was den meisten Lernenden in einer für sie teils sehr neuen, teils einfach fremd gebliebenen Umgebung im Alltag fehlt. Dementsprechend sind auch die Lernmethoden nie auf bloßen Frontalunterricht beschränkt. Ganz nach der Montessoripädagogik2, deren Grundgedanke in der Aussage „Aiutami a fare da solo.“ (Deutsch: „Hilf mir, es selbst zu machen.“) zusammengefasst werden kann, gibt es abwechslungsreichen Unterricht und zahlreiche Materialien, die das Lernen stimulieren, Neugier wecken und Aufmerksamkeit fördern sollen. Manuelle und kreative Arbeit wird dabei genauso eingesetzt wie körperliche Übungen, Spiele oder Tanz und Gesang.
Dabei wird nicht nur der Unterricht selbst, sondern auch die kreativen Unterbrechungen dazu genutzt, mit den Lernenden zu arbeiten. Jede Unterrichtseinheit wird stets durch eine Pause unterteilt, bei der sich die Schüler zunächst im Kreis versammeln und dann gemeinsam Bewegungsübungen machen, die das Bewusstsein für den eigenen Körper fördern sollen. So bewegt man sich beispielsweise im Raum zur Musik und die Lehrkraft gibt das Tempo vor, indem sie Zahlen in den Raum ruft, welche die Nummern der Gangschaltung eines Autos simulieren soll, wobei die Mitspielenden selbst das Auto sind, das sich verlangsamt oder beschleunigt. Auch das gemeinsame Singen eines Liedes in einer allen unbekannten Fremdsprache kann eine Pausenaktivität sein, welche die Konzentrationsfähigkeit der Schüler fördern soll und ihnen gleichzeitig zeigt, dass man auch ohne vermeintlichen Sinn Spass haben kann.
Oder die Teilnehmer werden in zwei Gruppen geteilt, wobei jeder Einzelne sich im Kreis mit einem aus der jeweils anderen Gruppe gegenübersieht, dabei sind diejenigen im äußeren Kreis „Bildhauer“ und die im inneren „Stauen“, welche von den Bildhauern nach ihren Wünschen „geformt“ werden: Der Körper der jeweiligen „Statue“ wird bewegt, Arme gebeugt und Köpfe geneigt und Füße in Stellung gebracht. Dann wechselt der „Bildhauer“ zur nächsten „Statue“ und das Spiel geht von vorne los. Was als lustiges Kinderspiel betrachtet werden kann, hilft in Wirklichkeit vielen Teilnehmern, loszulassen und sich auf etwas einzulassen, was außerhalb ihrer Komfortzone liegt.
Gerade die Teilnehmerinnen des reinen Frauenkurses, die diese letztere Übung gemacht haben, sind häufig sehr schüchtern und trauen sich nicht, sich über das „gebührende Maß“ zu äußern oder gar ihre Stimme zu erheben. Da sind körperliche Aktivitäten, bei denen sie einander auch noch anfassen können, geradezu eine Seltenheit, die zunächst mit Skepsis aufgenommen wird, jedoch schon bald in allgemeine Freude und Gelächter umschwingt. Denn, was vor allem zu beobachten war, ist, dass die Schülerinnen ihren Lehrern vertrauen. Die Teilnehmerinnen dieses Kurses sind Frauen, die hauptsächlich vom indischen Subkontinent (Bangladesch, Indien, Pakistan) und aus Nordafrika stammen. Oft sind sie im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Italien gekommen. Aber auch Flüchtlingsfrauen und Asylbewerberinnen aus Subsahara-Afrika und dem Nahen Osten, die in Aufnahmezentren leben, sowie allein eingereiste Frauen aus Osteuropa, den Philippinen und Südamerika, die oft als Hausangestellte oder Pflegekräfte arbeiten, trifft man in diesem Kurs an.
Das Bemerkenswerte ist dabei, dass dieser reine Frauenkurs nicht nur einen Safe Space für sie darstellt, sie können auch ihre kleinen Kinder bis zum sechsten Lebensjahr mit zur Schule bringen. Dort wird sich mit diesen beschäftigt, mit ihnen gespielt oder gemalt während die Mütter ihren Italienischkurs nebenan haben. Auch wenn man keine Verallgemeinerungen anstellen sollte, sind gerade diese jungen Mütter oft schutzbedürftige Frauen, die von sozialer Isolation bedroht sind und die nicht nur die italienische Sprache lernen wollen, sondern auch das Bedürfnis nach Geselligkeit und Integration haben. Deswegen ist das Hauptziel von Asinitas neben dem reinen Spracherwerb auch der Aufbau sinnvoller Bindungen und das Schaffen von Kontexten, in denen sich diese Frauen – aber auch alle anderen Lernenden – aktiv einbringen können.
Vor allem soll in einem Bezirk, wo Menschen verschiedener Kulturen zuhause sind, der Isolation von Migranten entgegengewirkt werden. Gerade die Frauen stehen dabei als besonders vulnerable Migrantengruppe mit häufig niedrigem Bildungsniveau im direkten Fokus der Sprachschule. So sieht sich Asinitas als ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der interkulturellen Bildung, als ein Unterstützungsnetzwerk und als ein Ort, an dem die Marginalisierung der Migranten Ernst genommen wird und sie selbst als Akteure bei der Darstellung ihrer Migrations- und Lebenswege handeln und diese vokalisieren können.
Auch wenn ich Einblicke in die vielen verschiedenen Kurse der Schule hatte, so hat wohl die Arbeit im Frauenkurs einen ganz außerordentlichen Eindruck hinterlassen, sei es wegen der einzelnen Teilnehmerinnen1 selbst, sei es wegen der guten Lernatmosphäre und der funktionierenden Lerngruppen oder sei es weil ich hier ganz besonders die Einsicht hatte, dass das Engagement des Teams, zu dem ich dazugehören durfte, sinnvoll und fruchtbar ist.
In diesem Frauenkurs konnte ich den Teilnehmerinnen nicht nur beim Konjugieren von Verbformen oder dem Erlernen der Einkaufsliste für den Supermarkt helfen, sondern auch ihren Geschichten zuhören, wenn sie von ihren Heimatländern erzählt haben. Alle Themen wurden, wie stets bei Asinitas, auf die Lebenserfahrungen der Teilnehmerinnen abgestimmt: So las man beispielsweise eine bebilderte Geschichte die zwei parallele Handlungsstränge hatte, eine irgendwo im Westen angesiedelt und eine in einem arabischen Land. Beide Erzählungen zeigten eine Familie bei ihren alltäglichen Besorgungen und wurden zum Schluss durch einen Gegenstand – einen Teppich, von der einen Familie gewoben und auf den Markt gebracht und von der westlichen Familie erworben – miteinander verbunden. Die Lernenden erkannten teilweise Stücke ihrer alten und neuen Lebenswirklichkeit wieder, sie sprachen von der Heimat und freuten sich, diese als Lehrmaterial in der Sprachschule wiedergefunden zu haben. Ein anderes Mal sollten die Frauen von Gegenständen erzählen, die ihnen besonders am Herzen lagen und die sie eventuell mit nach Italien gebracht haben. Gleichzeitig war dies ein Workshop mit Ton, aus welchem die Lernenden diese besagten Gegenstände formen sollten. Die Verbindung von praktischer Handarbeit, dem biographisch basierten Geschichtenerzählen und dem Einüben des Italienischen, welche fast wie nebenbei passierte, da die Frauen mit der Hilfe des Lehrteams die Gegenstände benannten, erklärten und in den biografischen Kontext einordneten, ist genau die Art von ganzheitlicher Sprach- und Kulturarbeit, welche bei Asinitas zum Alltag gehört.
Während ich also den Frauen half, die Geschichten zu ihren aus Ton geformten Gegenständen auf Italienisch aufzuschreiben, wurde so der Austausch zwischen den Lernenden und den Teammitgliedern über die Kursinhalte hinweg gefördert. Das erfahrungsbasierte Lernen, das Verknüpfen von manuellen Tätigkeiten mit dem Spracherwerb und die Erfahrung, dass ihnen zugehört wird, sind die Brücken, die im Unterricht geschlagen werden, um die Lernenden zusammenzuführen und sie im besten Fall zu motivieren, ihren Weg in dem neuen Land zu finden.
Auch der Unterrichtsraum selbst und die ganze Etage, welche von Asinitas eingenommen wird, spiegeln die Geschichten und Wege der Lernenden wieder: So findet man hier zahlreiche Plakate, auf denen Familienmitglieder gemalt und mit den entsprechenden italienischen Begriffen versehen wurden; bunte Gesichter aus farbenfrohen Papierstücken, welche die Kursteilnehmer abbilden sollen; Fotos von gemeinsamen Festen und Aktivitäten außerhalb der Schule; Worte in allen möglichen Sprachen, die den Lernenden etwas bedeuten oder eben auch Tonarbeiten von Schülern, die ihre Lieblingsgegenstände darstellen sollen.
Die Umgebung ist lebendig gestaltet und lädt die Lernenden dazu ein, ihren Teil dazu beizutragen. Die Wände, die gemalten und gebauten Objekte, die Fotos und die Worte der vorherigen und momentanen Schüler sind quasi der sichtbare Beweis für die Entfaltung eines Wachstumsprozesses, der in den Räumen vonstatten geht – des Erlernens der neuen Sprache, der gemeinsamen Erfahrungen, der neu geknüpften Beziehungen. Jede neue Gruppe füllt die Räumlichkeiten nach ihrem eigenen Bild und hinterlässt Spuren des eigenen Lernwegs, der gemeinsam verbrachten Zeit in den Unterrichtsräumen sowie außerhalb. Auch diese sehr persönliche Gestaltung der Räume und Gänge der Sprachschule ist ein Mittel, um das Beziehungsklima und den Ausdruckswillen der Lernenden zu fördern, sozusagen die Erfindung eines kreativen Raums aus sich selbst heraus.
Die vielen praktischen Übungen, die ich während meiner Zeit bei Asinitas kennengelernt und mit in die Tat umgesetzt habe, waren dementsprechend alle doppelter Natur: Einerseits dienten sie natürlich vorrangig dem reinen Spracherwerb, andererseits waren sie vielmehr Techniken des achtsamen Umgangs mit Menschen aus verschiedenen Kulturen. Theorie und Praxis finden so zueinander und haben stets die Biografien und Lebensgeschichten der Lernenden als ihren Ausgangspunkt, um zur individuellen und kollektiven Stärkung und Entwicklung der Teilnehmer beizutragen. Ob dabei eine Geschichte über einen einsamen und nostalgischen Löwen in Paris, der seine alte Heimat in Afrika vermisst und am Ende trotzdem seinen Platz in der neuen Stadt findet auf dem Lehrplan steht, um über Adjektive zu sprechen, die Gefühlszustände beschreiben oder die Bezeichnungen der Geschäfte und der darin angebotenen Waren und Dienstleistungen erlernt werden sollen, die den Menschen bei ihren täglichen Wegen im Stadtviertel begegnen, es wird kontinuierlich nach Lernmethoden gesucht, welche die Annäherung an die Gruppe und die Einzelperson als Grundgedanken inne hat.
Wenn hier auch ungenügend Raum ist, um alle Aktivitäten im Einzelnen aufzuführen, so sollen dennoch noch einige davon genannt werden. Zum Einen bietet Asinitas eine Reihe von Kursen und Workshops im sozialen und gesundheitlichen Bereich an, so beispielsweise auch eine Orientierung und Begleitung zu Sozial- und Gesundheitsdiensten, Treffen mit Fachärzten wie Kinderärzten und Gynäkologen oder einen pränatalen Kurs für schwangere Migrantinnen, bei dem nicht nur die italienischen Begriffe rund um Schwangerschaft, Geburt und Krankenhaus gelernt werden, sondern auch die eigentlichen biologischen Vorgänge während dieser besonderen Zeit erklärt werden. In Zusammenarbeit mit dem medizinischen Fachpersonal aus dem nahegelegenen Krankenhaus wird den Frauen so die Angst vor der doppelt fremden Umgebung des Krankenhauses in einer für sie neuen Sprache genommen und ein soziales Netz zu Gleichgesinnten gesponnen, die Ähnliches durchleben.
Zum Anderen werden aber auch psychologische Einzel- und Gruppenberatung und -betreuung sowie Rechtsberatung in der Region organisiert oder Kontakte zu lokalen sozialen Diensten hergestellt. Nicht selten habe ich mitbekommen, wie Teammitglieder von Asinitas von den Lernenden angesprochen wurden, um ein konkretes Problem mit den örtlichen Behörden zu lösen oder sich dafür Rat einzuholen. Die Sprachbarrieren wurden dabei manchmal durch eine Kette von Übersetzern aus den eigenen Reihen überwunden (beispielsweise von Arabisch zu Französisch und von Französisch zu Italienisch) und gleichzeitig vor allem mit viel Fingerspitzengefühl und teilweise auch mit „Händen und Füßen“ kommuniziert.
Dieses Überwinden der sprachlichen Hindernisse und der Fokus auf das Individuum dahinter zieht sich durch alle Aktivitäten von Asinitas. Auch in dem jährlich angebotenen Theaterworkshop für Migranten und Einheimische bildet dies das Herzstück der gemeinsamen Theaterarbeit. Hierbei können alle in der Schule Lernenden teilnehmen, unabhängig von ihrem Sprachniveau. Hinzu gesellen sich Italiener von jung bis alt, die über verschiedene Wege von diesem Theaterworkshop erfahren haben: Manche sind direkte Nachbarn der Schule, andere mit Teammitgliedern befreundet und wieder andere sind zufällig über das Internet darauf aufmerksam geworden.
Der Workshop, welcher jedes Mal von einem anderen Theatermacher angeleitet wird, steht immer im Zeichen des jeweiligen Mottos von Asinitas für das laufende Schuljahr. Diesmal ist es „voce“ (Deutsch: „Stimme“), so treffend gewählt und so allumfassend, dass der Theaterworkshop alle Stimmen seiner Teilnehmer integrieren kann – ganz nach dem Leitsatz der Sprachschule, welche die Gemeinschaft, also sowohl die Gruppe als auch den Einzelnen, in den Blick nimmt. Jeden Donnerstag traf sich die Theatertruppe, die in Bezug auf Alter, Sprache, Herkunftsland und Kultur heterogener kaum sein konnte: Die Römische Seniorin, die ihr ganzes Leben in der selben Stadt verbracht hat; der Nigerianer, der zuhause ein Waisenzentrum aufgebaut hat; der junge Bangladeshi, der Schauspieler werden will oder die junge Armenierin, die in der Ukraine aufgewachsen ist und mit dem Beginn des Krieges nach Italien flüchtete. Sie alle entwickeln gemeinsam nach und nach Szenen eines Theaterstücks, welches am Ende auf der Bühne eines Theaters der Stadt aufgeführt werden wird.
Nach theatralischen Aufwärmübungen, bei denen ich auch mitmachen durfte, die hauptsächlich darauf ausgerichtet waren, die Wahrnehmung der eigenen Präsenz im Raum und das kreative Potenzial bei der Interaktion mit den anderen Teilnehmern zu fördern, wurden aus anfänglich ebenso gestalteten Übungen Teile des zukünftigen Theaterstücks. Während die kleine interkulturelle Gemeinschaft einander Einblicke in ihre Biographien gewährte, wurde auch ihr Zusammenhalt untereinander immer mehr gefestigt. Dieser Begegnungsraum, der von Abhängigkeits- und Machtverhältnissen befreit war, brachte nicht nur ein Theaterstück hervor, sondern gab jedem Einzelnen die Möglichkeit, sich soweit einzubringen, wie jeweils gewünscht, und sogleich die Wertschätzung der Herkunftssprache und -kultur durch die anderen Mitspieler zu erleben. Biographische Erlebnisse und Migrationserfahrungen wurden verbalisiert und mit Gesang, Tanz und Projektionen von Fotografien der Teilnehmer verwoben.
So entstand in diesen Beziehungen der Gleichheit zwischen Nicht-Gleichen ein außerordentlich persönliches und bewegendes Theaterstück, „La Voce Umana“ (Deutsch: „Die menschliche Stimme“), das die Geschichte vieler Stimmen, die auf der Bühne zu einer werden, erzählt. Auf den Spuren ihrer Kindheit, ihrer Wurzeln, ihrer freudigen und traurigen Momente entdecken die Teilnehmer selbst ihre persönliche Entwicklung und nehmen den Zuschauer mit auf diese Reise.
Das Theater begleitet somit die soziale und pädagogische Arbeit von Asinitas, fügt sich darin ein und verbessert auch die Qualität der Erfahrungen der Lernenden. Der Dialog, der dabei zwischen den einzelnen italienischen und ausländischen Gruppenmitgliedern entsteht, hilft nicht nur, ihr kreatives Potenzial zu fördern, sondern auch die persönliche Entwicklung der Mitspielenden anzuregen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Ganz nebenbei verbessert sich auch das Italienisch der Sprachschüler, aber das gerät in diesen Momenten des Selbstausdrucks und des gleichzeitigen Zusammenhaltes fast schon zur Nebensache.
Asinitas ist also eine fürsorgliche Schule aus Überzeugung, bei der jeder Einzelne – Lernende wie Lehrende – zum Bildungskontext beiträgt, der die Anwesenden in eine Gemeinschaft integriert, wobei die Begegnung mit der Person in ihrem Körper und mit ihrer Geschichte im Vordergrund steht. Diese Balance zwischen Individuum und Gruppe gelingt meistens mit beachtlicher Freundschaftlichkeit zwischen dem Team und den Schülern. Bei eventuellen Konflikten, wie sie vereinzelt aufgetreten sind, wurde die Situation ruhig und respektvoll gelöst. Vor allem diese Begegnung mit den Lernenden auf Augenhöhe ist ein Leitmotiv dieser interkulturellen Organisation.
Sicherlich gibt es bei aller Vorbildlichkeit auch Schwierigkeiten, wie beispielsweise die manchmal mühsame Unterbringung der vielfältigen kulturellen Ausdrucksweisen, Meinungen und Ideen unter einen institutionellen Hut der Sprachschule und deren gleichwertige Anerkennung. Vor allem im Theaterworkshop haben die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Mitwirkenden für manche Überraschung gesorgt. Was jedoch stets augenscheinlich war, ist die nonverbale, jedoch immer präsente Aufforderung an die Lernenden, ihren bisherigen Lebensweg und ihre Migrationserfahrung nicht zu negieren oder abzulegen, sondern daraus vielmehr Inspiration und Kraft für ihren zukünftigen Lernweg zu schöpfen. Dabei fungiert Asinitas mit ihren erfahrungsorientierten Arbeitsmethoden als Begegnungsort für einen gegenseitigen Austausch und eine wechselseitige Bereicherung für alle, die sich dort wiederfinden – so auch für mich.
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1 Auch kann Asinitas kein staatlich attestiertes Zeugnis über das erreichte Sprachniveau nach Abschluss des Sprachkurses ausstellen, da sie keine staatlich anerkannte Sprachschule sind. Für eine solche Anerkennung müsste die Organisation deutliche Veränderungen im Curriculum sowie in den Lehrmethoden vornehmen, was jedoch seitens der Leitung und des Teams nicht gewünscht ist. Vielmehr möchte man weiterhin die Freiheit haben, sich Inhalte und Methoden der Lehrpraxis selbst auszusuchen. Für diejenigen Lernenden, die im Anschluß an den A2 und B1 Kurs jedoch eine offiziell anerkannte Sprachprüfung absolvieren möchten, gibt es diese Möglichkeit trotzdem: Asinitas kooperiert mit staatlich zertifizierten Einrichtungen, deren Mitarbeiter dann die offizielle Prüfung abnehmen.
2 Die Italienerin Maria Montessori war Reformpädagogin, Ärztin und Philosophin. Sie hatte ab 1907 in San Lorenzo, einem damaligen Armenviertel von Rom, die Leitung der ersten Casa dei Bambini (Deutsch: „Kinderhaus“) inne und setzte dort auch ihre pädagogischen Ideen um.
1 Hier sei nur eine Frau als Beispiel genannt, die jede Unterrichtsstunde mit ihrem Mobiltelefon aufgenommen hat, um sie sich erneut zuhause anhören zu können, und so binnen kürzester Zeit enorme Fortschritte gemacht hat. Vor allem, weil sie selbst bislang auch in ihrer Muttersprache kaum lesen und schreiben konnte.
Der Arbeits- und Lernaufenthalt wurde über das Erasmus+-Programm der Europäischen Union gefördert.