Das demokratische Museum

Job Shadowing beim Volkskundemuseum und dem Weltmuseum Wien. Für vier Wochen konnte Ulrike Schuhose ihre Kenntnisse und Methoden der kulturellen Vermittlung vertiefen. Wie kann das Interesse von Bürger/innen am Besuch von Museen geweckt werden? Was sollten Museen ändern, damit Menschen sie als ihre Orte begreifen?

Eindrücke meines Job Shadowing vom 2.-29. Juli 2023

Volkskundemuseum Wien

Das Museum ist eines der großen europäischen ethnographischen Museen mit umfangreichen Sammlungen zur Volkskunst sowie zu historischen und gegenwärtigen Alltagskulturen Europas. Es versteht sich als offenen Ort für Forschung und Vermittlung; es gibt Raum für aktuelle gesellschaftliche Themen und Entwicklungen, soziale Interaktion und Austausch. In ihrer Arbeit der Kulturvermittlung setzen die Mitarbeiter/innen auf lebendige und herausfordernde Zugänge für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.

Dabei bezieht sich das Volkskundemuseum Wien auf die Thesen des radikaldemokratischen Museums von Nora Sternfeld: Bildung wird als grundlegendes Menschenrecht betrachtet. Das Museum verfolgt das Ziel, sie für Menschen jeglicher Altersgruppen und sozialer Hintergründe zugänglich zu machen. Für eine aktive, kritische und partizipative Auseinandersetzung bietet es zudem regelmäßige Diskussionen, Tagungen, Führungen, Veranstaltungen, Interventionen, performative Kunst, Theaterprojekte, Kooperationen mit NGOs, Forschungs- sowie Public-Science-Projekte, Onlinesammlungen, Onlinepublikationen und Vermittlung auf ihren Social Media Kanälen.

weltgewandt e.V. war 2020-2022 Partnerorganisation Rahmen des Erasmus+-Projekts „UNLOCK – United for those in Needs: Learn, Open, Care, Keep – the Museum Mediator as Diversity Integrator“, das neun Organisationen (zumeist Museen) aus fünf Ländern zusammenführte. Zentrales Anliegen war der Abbau von Barrieren für Menschen, die Museen – aus verschiedenen Gründen – nicht aufsuchen. Während des Projekts begann auch ein intensiver Wissensaustausch mit Mitarbeiter*innen des Volkskundemuseum Wien über Bildung, kulturelle Vermittlung und Möglichkeiten der Öffnung des Museums für Besucher*innen, die als benachteiligt gelten und bisher wenig Angebote von Museen wahrnehmen.

Inspiriert von dem Projekt und den Diskussionen setzten wir von weltgewandt e.V. ein Vorhaben mit Bewohner*innen in Marzahn um. Gemeinsam gingen wir mit ihnen in verschiedene Museen Berlins, um so eine eventuelle Schwellenangst zu nehmen und sie zu ermutigen, eigene Fragen zu entwickeln. Die Besuche wurden mit unterschiedlichen Methoden vor- und nachbereitet. Die Teilnehmer*innen hielten ihre Eindrücke von den Erkundungen fotografisch fest. Daraus entstand eine Ausstellung, die mehrere Monate im Frauenzentrum Marie gezeigt wurde. Auch während der DIALOG-Cafés von weltgewandt e.V. im Stadtteil Marzahn-Nord arbeiten wir mit Bewohner*innen zu Fragen der (Alltags-)Kultur. Deshalb war es mir wichtig, mich über Erfahrungen und Einsichten zur Konzeption und Durchführung von Vermittlungsprojekten mit anderen Kolleg*innen auszutauschen und mich so als Trainerin fortzubilden und weiter zu entwickeln.

Der intensive Austausch mit den Kolleg*innen, das teilnehmende Beobachten von Museumsführungen, die Mitwirkung an Workshops und weiteren Aktivitäten erlaubten es, intensive Einblicke in die Museums- und Bildungsarbeit zu erhalten, museumspädagogische Interventionen mitzuentwickeln und mit unterschiedlichen Zielgruppen zu arbeiten.

Ein Beispiel: „Als die Welt nach Wien und Soja nach Europa kam“. Zur Zeit meines Job Shadowing lief die Ausstellung zur Sojapflanze. Auf der 1873 in Wien stattfindenden Weltausstellung hatte sie der Pflanzenbauexperte Friedrich Haberlandt für sich und seine Wissenschaft entdeckt. Vom Gartenpalais Schönborn, dem Gebäude des heutigen Museums, startete er die ersten Anbauversuche dieser Pflanze, die für ihn mit hohen Erwartungen in den Bereichen Volksernährung und Volkswirtschaft verbundenen war. Für die Ausstellung entwickelte ich mit den Museumspädagoginnen interaktive (Guerilla-)Elemente, die zum einen im Museumsgarten und Park auf die Ausstellung aufmerksam machte, zum anderen den Anbau der Sojabohne reflektierte. Ich dokumentierte das Wachstum der Sojapflanzen und schrieb Texte für den Social Media-Auftritt des Museums.

Weltmuseum Wien

In der letzten Woche meines Arbeitsaufenthaltes war ich in der Bildungsabteilung des Weltmuseums Wien tätig, zuvor Museum für Völkerkunde. Es ist dies das ethnologische Museum auf der Wiener Hofburg – mitten im Touristen-Hot-Spot. Das Weltmuseum enthält Sammlungen aus allen Kontinenten. Zudem verfügt es über eine Bibliothek, ein Archiv und eine bedeutende Fotosammlung. Hier konnte ich neuere Methoden der kulturellen Vermittlung kennen lernen: Performance, Storytelling, akustische, sinnliche und achtsame Wahrnehmung – oft verbunden mit kreativer Arbeit in nur 90 Minuten.

Fazit

Mein Job Shadowing war in beiden Museen eine bereichernde, inspirierende und lehrreiche Erfahrung. Ich konnte mein Wissen über europäische Kulturgeschichte ausbauen sowie Kenntnisse und methodische Anregungen in den Bereichen Bildung, Kommunikation und der Konzeption von Bildungsangeboten erhalten. Im Austausch auf Augenhöhe mit den wunderbaren, temporären Wiener Kolleg*innen war das Lernen nicht nur einseitig, denn zugleich konnte ich meine Erfahrungen und mein Wissen an die Kolleginnen weitergeben.

Ich habe mich in den vier Wochen intensiver mit der Geschichte und Kultur eines anderen europäischen Lands auseinandersetzen können. Auch habe ich erfahren, wie Bildungsimpulse tatsächlich dazu stimulieren können, dass Besucher*innen Neues erfahren und ihr Denken hinterfragen. Solche Vermittlungen können etwas in Gang setzen – beim Einzelnen und in der Gesellschaft. Das kann – in sanfter Dosis – dem radikaldemokratischen Anspruch genügen, nach dem einem Museum eine emanzipatorische Funktion zukommt.

Den Bericht in voller Länge können Sie / könnt ihr über diesen Link lesen.

 

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