Vom Laster der Unkenntnis

Interessierte aus Sofia, Berlin, Belgrad und Marseille trafen sich vom 10.-13. Juni 2024 in der bulgarischen Hauptstadt, um sich über „Mauern im Kopf – das Andere entdecken“ auszutauschen. Es waren Jüngere und Ältere, Tänzer, Schauspieler, Engagierte im Stadtteilzentrum oder beim Sprachcafé, Taube und ihre Übersetzerin in Gebärdensprache, fast alle waren mehrsprachig. Entstanden sind erste Ideen für die gemeinsame Performance und Fotos für die Ausstellung. Beides wird im Oktober 2025 in Berlin gezeigt.

Los ging es in gemischten Gruppen mit Assoziationen zum Projektthema. Als „Mauer“ wurde die Unkenntnis von Menschen in Westeuropa über die Gesellschaften im Osten des Kontinents gesehen. Das Nicht-Verstehen habe kulturelle und soziale Dimensionen und sei durch das Vergessen von Geschichte geprägt. Darin drücke sich eine gewisse Egozentrik aus, aber auch Angst, ein angstvolles Kreisen um sich selbst. Beteiligte aus Osteuropa wiederum führten als Beispiele für „Mauern“ die Ausgrenzung von tauben Menschen an: im Theater, wenn vieles per Telefon verlangt wird, dass es kaum ausgebildete Gebärdendolmetscher in Serbien gibt. Oder sie nannten Angst, Einsamkeit, (Vor-)Urteile, Barrieren durch Sprache, Religion, Kultur. Wieder andere sprachen von einer Polarisierung der öffentlichen Meinung und dass Menschen eher gelabelt werden als dass eine sachbezogene Debatte stattfände. Ausgesprochen schwierig sei es auch, über den Krieg in der Ukraine zu sprechen.

Menschen lernen sich besser kennen und verstehen, wenn sie etwas gemeinsam machen – und dabei ihre schöpferischen Kräfte entfalten. Erste Ideen für die Performance mit Elementen von Theater, Kino, Bildender Kunst und Literatur wurden von den Teilnehmer/innen spielerisch zusammengetragen. Dazu schrieben sie in vier Kleingruppen je 100 Wörter pro Kunstform auf. Davon wurden anschließend 10 Wörter ausgewählt. Aus diesen wurde danach ein Text kreiiert die Worte wurden verbildlicht. Beispiel: Öffentlichkeit. Der Begriff wurde durch ein Amphitheater nach griechischem Vorbild und das WIFI-Symbol für Blogs, Internetzeitungen und Social Media dargestellt. Im Kontrast dazu und mit dem Zeichen für Hochspannung versehen erschien der Verweis auf Samisdat-Literatur (Produktion im Eigenverlag zu sozialistischen Zeiten). Aktuell? Ja. Inwiefern?

Das wissende Auge sieht besser, und mit der Kamera wird eine Umgebung anders wahrgenommen. Oftmals intensiver. Die Teilnehmer/innen waren dazu eingeladen, während des Besuch einer Galerie und des Museums der Geschichte Sofias fünf bis zehn Fotos von Objekten zu machen, die sie besonders ansprechen. Das Gespräch darüber war sehr aufschlussreich. Denn es zeigte, was Menschen von ein und derselben Ausstellung wahrnehmen können – und was nicht. Nach einer Einführung in die padlet-Plattform werden die Bilder online geteilt und wird so das Material für die Ausstellung zusammengetragen. Erste Bilder sind im padlet hochgeladen.

„Es war toll, eine internationale Begegnung zu erleben.“Glücklicherweise ist es kein großes Auf Wiedersehen. Wir sehen uns in Marseille.“ Ende September 2024.

 

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